Jetzt Hier Ich

Seit einigen Jahren plage ich mich schon mit einem Gedanken herum. Eigentlich ist es eine simple Sache, aber sie lässt sich nicht leicht in Worte fassen. Ausgelöst wurde der Gedanke durch einen Bekannten, der – sagen wir mal – ziemlich esoterisch veranlagt ist. Eines Tages erklärte er mir wieder einmal, dass unsere Welt der drei bis vier Dimensionen ja so ziemlich das Letzte sei. Und dass es unendlich viele Dimensionen gäbe, und dass dort, in der „N-Dimensionalität“,  –­ salopp ausgedrückt – erst so richtig der Bär steppt.

Die Esoterik begegnete mir zum ersten Mal im Elternaus. Meine Mutter hatte ein Heft abonniert, das ESOTERA hieß. Sie fand das Thema damals ziemlich toll, und ich – von Natur aus neugierig  – schmökerte auch in den Heften. Ich erinnere mich noch an ziemlich gruselige Schwarz-Weiß-Fotos von Menschen (Frauen zumeist), die mit verdrehten Augen eine weiße Masse – das „Ektoplasma“ – hervorwürgten. Nein, damit wollte ich dann doch nichts zu tun haben.

Während meines Aufenthaltes in England (1978 bis 1982) kam ich in Kontakt mit der  „Spiritualist Church“. Der spirituelle Umgang mit Verstorbenen schien in England so  selbstverständlich zu sein, wie bei uns das Angeln. Es interessierte zwar nur eine bestimmte Gruppe von Leuten, aber bei denen war es nichts Besonderes. Ich besuchte eine Sitzung der örtlichen Gemeinde. Es ging dabei um wirklich banale Sachen. Eine Frau wollte wissen wie es ihren verstorbenen Mann Tom im Jenseits gehe („Danke, gut.“) und eine andere Person suchte Rat wegen ihres kranken Hundes. Dann gab es noch Weisheiten von der Art „wir sind alle verschieden und einzigartig.“

In England war ich im Rahmen eines sehr ernst empfundenen religiös-weltanschaulichen Engagements, das von 1975 bis etwa 1996 dauerte. Von Mitte der 90er-Jahre an habe ich mich langsam aber sicher aus dem religiösen Bereich verabschiedet. Ich habe heute immer noch das Gefühl, eine Überdosis Religion abbekommen zu haben. Ich denke, ich habe genug davon für den Rest meines Lebens.

Ja, ich schweife ab. Was ich sagen will ist: Ich habe heute ein distanziertes Verhältnis zu Religion, Spiritualität und Esoterik jeder Art.

Und dennoch lassen einen verschiedene Fragen nicht los. Statt Dimensionen ganz abstrakt zu interpolieren, mache ich mir Gedanken um die bereits faktisch gesicherten.  Eine Eigenschaft von Dimensionen ist, dass höhere die niedrigen einschließen.  Also: Die Linie beinhaltet den Punkt, die Fläche die Linie und der Raum die Fläche. Wenn man die Zeit als Dimension hinzunimmt, stimmt dieses Prinzip immer noch. Was  – und hier beginnt meine Spekulation – schließt nun alle bisher bekannten Dimensionen ein? Die Antwort, die ich für mich gefunden habe lautet: Bewusstsein. Ich behaupte jetzt mal, Bewusstsein ist eine Art übergeordnete Dimension. Demnach hätten wir als Dimensionen den Raum, die Zeit, und seit eben: das Bewusstsein. Ja ich weiß, Raum und Zeit kann man exakt messen, Bewusstsein – so hat eine kluge Frau eingeworfen – nicht. Noch nicht.

Es gibt ja den Spruch vom „Ganz-im-hier-und-jetzt-Sein“. (Ist übrigens ein beliebter Tweet mit angehängtem Foto: „Ich jetzt hier“. Man sieht dann z. B. ein Bierglas auf einem Tisch im Freien – aha, Twitterfreund X. sitzt gerade im Biergarten.)

Wie es so meine Art (andere sagen Unart) ist, begann ich mit den Begriffen zu spielen. Und das ist dabei herausgekommen:

  1. „Hier“ ist der universale Bezugspunkt für den Raum.
  2. „Jetzt“ ist der universale Bezugspunkt für die Zeit.
  3. „Ich“ ist der universale Bezugspunkt für das Bewusstsein.
  4. Jeder Ort ist immer „hier“.
  5. Jeder Zeitpunkt ist immer „jetzt“.
  6. Jedes Bewusstsein empfindet sich als „ich“.
  7. Im „Hier“ wird der Raum erfahren. Im „Jetzt“ die Zeit und im „Ich“ das Bewusstsein.
  8. Das „Ich“ ist der Punkt, der Raum und Zeit verbindet.
  9. Das „Hier“ ist nur ein winziger Teil des Raumes, doch es ist untrennbar mit dem Raum in seiner Gesamtheit verbunden.
  10. Ebenso ist das „Jetzt“ nur ein Moment in der Zeit, doch immer mit der ganzen Zeit verbunden.
  11. Ebenso ist das „Ich“ nur ein punktueller Ausdruck des Bewusstseins, doch es ist  untrennbar mit dem Bewusstsein als Ganzem verbunden.
  12. Alle drei Begriffe sind individuelle Ausdrücke universaler Dimensionen.
  13. So wie sich Zeit und Raum jederzeit und an jedem Ort unterscheiden, werden sie doch jeweils als hier und als jetzt empfunden.
  14. So unterscheidet sich auch das individuelle Bewusstsein deutlich von jedem anderen „Ich“. Es wird jedoch immer als „ich“ empfunden.
  15. So ist das „Hier“ immer auch zugleich überall, das „Jetzt“ immer auch zugleich Ewigkeit und möglicherweise das personale „Ich“ der Zugang zur universalen Dimension „Bewusstsein“.

Na ja, weiter bin ich nicht gekommen. Wie gesagt, einfache Sache, schwer in Worte zu fassen. Vielleicht fällt den Leserinnen und Lesern dieses Textes etwas Erhellendes und Hilfreiches dazu ein.

Über ein Echo freut sich

Ihr/Euer Eilan Belhaus

About Eilan

Eilan Belhaus ist Dichter und Wortspieler, Poet und Beobachter. Er erforscht die Welt meditativ und lädt Dich zu seiner Welt ein. Eilan freut sich über Kommentare und darauf, in Deine Welt eingeladen zu werden.
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1 Response to Jetzt Hier Ich

  1. Hajo says:

    Finde Deinen Beitrag köstlich.

    Dem ist nichts hinzuzufügen. Alles anderes ist und bleibt Spekulation.

    Hajo

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