Meine nationale Identität

Es fällt mir schwer, die richtigen Worte für mein Anliegen zu finden. Wir Deutschen haben ein massives Problem mit unserer nationalen Identität. Für meine Generation gehört es gewissermaßen zum guten Ton, sich dafür zu schämen, Deutscher zu sein. Ich denke, das ist normal in einem Land, in dem nationale Gefühle so missbraucht wurden. Die folgenden Zeilen sind mein Beitrag zum Tag der Deutschen Einheit.

Ich kann nicht leugnen, Deutscher zu sein. Meine Nationalität ist konstituierender Teil meiner Persönlichkeit. Ich wurde mir dessen zum ersten Mal bewusst, als ich für einige Jahre in England lebte. Bis dahin lebte ich unter Menschen, die, was die nationale Identität angeht so waren ich – eben als Deutscher unter Deutschen.

In England merkte ich sehr rasch, dass ich anders war als die Engländer. Nicht nur sprach ich das Englisch mit einem auffälligen deutschen Akzent. Mein Denken, mein Fühlen, meine Gewohnheiten und Ansichten unterschieden sich deutlich von denen meiner Gastgeber.

Und ich wurde mit der deutschen Vergangenheit konfrontiert. In den Fernsehprogrammen liefen regelmäßig sehr beliebte Serien, in denen Deutschland in unzähligen Varianten den Krieg verlor. Das Dritte Reich war in England – medial zumindest – noch sehr lebendig. Man konnte direkt glauben, Hitler lebe noch. Einmal saß ich mit einigen Landsleuten vor einem Lokal. Ein älterer Herr nährte sich unseren Tisch und fragte, ob wir Deutsche seien. Als wir dies bejahten, sagte er, es gäbe hier in der Nähe einen Ort, wo viele Deutsche seien. Er nannte den Namen des Ortes. Es war ein Soldatenfriedhof. Zum ersten Mal fühlte ich mich wegen meiner Nationalität gehasst. Das war ein völlig neues Gefühl.

Die allermeisten Begegnungen in England waren erfreulich. Im London der 1980er Jahre traf ich nicht nur Engländer, sondern Menschen aus dem ganzen Comonwealth. Es waren Leute aus Burma, verschiedenen Ländern Afrikas, Indien, Pakistan. Ich lernte Schotten, Iren und Waliser kennen. Und ich fühlte mich sehr wohl. Ich lernte den englischen Humor kennen, und die traditionelle englische Küche schätzen. Und ich gewann einige sehr liebe Freunde.

Als mein Aufenthalt in England zu Ende ging, fürchtete ich mich ein wenig davor, wieder unter Deutschen zu leben. Mit Wehmut sah ich die weißen Klippen von Dover hinter dem Horizont versinken. Mir war unwohl bei dem Gedanken an die deutsche Humorlosigkeit. Solche Gedanken gingen mir durch den Kopf, als sich der Bus der belgisch-deutschen Grenze näherte.

Und dann geschah etwas Unerwartetes. In dem Moment, als der Bus Deutschland erreicht hatte, stieg in mir – völlig überraschend – eine große Freude auf. Ich freute mich, wieder zuhause zu sein. Ich weiß, in diesem Moment wurde mir mein Land neu geschenkt.

Seit dieser Zeit habe ich kein Problem mehr damit, Deutscher zu sein. Ich vergleiche dieses Gefühl mit dem, das man zu seiner Familie hat. Es ist eine Art von exklusiver Zugehörigkeit. Aber deshalb hasst man ebenso wenig alle anderen Familien, wie man andere Nationalitäten hasst.

Ich bin nicht stolz darauf, Deutscher zu sein, denn es ist kein Verdienst irgendwo geboren zu sein. Aber ich schäme mich dessen nicht. Ich leugne nicht die schwere Schuld, die dieses Land auf sich geladen hat, aber die 12 Jahre Drittes Reich machen nicht die gesamte Geschichte aus. Ich ärgere mich nach wie vor über unsere nationalen Schwächen wie etwa die, Dinge so gründlich zu machen, dass sie garantiert nicht mehr funktionieren. Aber es gibt auch Dinge, die ich an uns schätze, etwa eine gewisse Redlichkeit im Denken.

About Eilan

Eilan Belhaus ist Dichter und Wortspieler, Poet und Beobachter. Er erforscht die Welt meditativ und lädt Dich zu seiner Welt ein. Eilan freut sich über Kommentare und darauf, in Deine Welt eingeladen zu werden.
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