Ob ich mir einen E-Book-Reader kaufen soll

Na ja, schön bequem ist es ja. Aber irgendwie ist es auch ein Beschiss. Ich zahle nicht für das Buch, ich zahle fürs Lesen. Ich habe eine begrenzte Lizenz gekauft, keinen Gegenstand. Das DRM (Management digitaler Rechte) ist eine komplexe Geschichte. Und nein, man kann die gekauften Bücher nicht einfach verleihen oder auf dem Flohmarkt verkaufen (oder bei Ebay).

Ja, ja, ich weiß: wie viele Bücher in meinem Bücherregal habe ich dieses Jahr schon angefasst* oder gar gelesen? Und dennoch – sie sind mein materieller Besitz. Sie altern mit mir. Die meisten werden mich wohl überleben, und irgendwann vergehen. Doch die E-Books, die existieren ja gar nicht wirklich, sondern nur virtuell. Das heißt nach dem Duden: der Möglichkeit nach vorhanden, nur gedacht, scheinbar, ein scheinbares, nicht auffangbares Bild erzeugend… Und dann ist diese Technologie ein Schlag gegen Buchhandlungen, also eine weitere Entmütlichung der Welt.

Die digitale Welt hat einen ungeheuren Sog entwickelt. Man kann sich dem kaum entziehen. Wenige Menschen können es. Ich kenne einen, der das schafft. Er lebt im umkämpften Berliner Stadtteil Neukölln, in einem halbleeren Gartenhaus. (Ein Berliner Gartenhaus hat nichts von Goetischer Idylle an sich. Es ist ein zweites, meist weniger schönes und dunkleres Wohngebäude parallel zum Ersten, das man über einen betonierten Hof erreicht. Mitunter gibt es zwei Gartenhäuser hintereinander.)

Dieter ist eigentlich ein Poet, einer der besten deutschen Lyriker, wie er selbst sagt. Leider schreibt er seit vielen Jahrzehnten kaum mehr etwas. Früher war er mal richtig gut. Wir haben vor Jahren viel gemeinsam gehabt. Dann trennten sich unsere Wege. Als ich ihn 2009 – nach fast vierzig Jahren – wiedertraf, hatte ich das Gefühl, eine Zeitreise gemacht zu haben. Er hatte sich kaum verändert. Er lebt in einer karg eingerichteten Wohnung ohne Heizung. Ohne Telefon, ohne Fernsehen, ohne Computer, ohne Internet. In einem Buch hatte er 1970 geschrieben, dass er immer um diese Jahreszahl herum zu finden sei. Es stimmt. Um ihn herum sind die 70er Jahre lebendig.

Wir sprachen über Gott und die Welt, über den Poetischen Akt von H. C. Artmann, gemeinsame Bekannte, die Band Guru Guru und den damals kürzlich verstorbenen Uli Trepte und Dieter sagte, dass seit dem Tod von Konrad Bayer keine gute Literatur mehr geschrieben worden sei. Konrad Bayer starb 1964…

Wie gesagt, man kann sich dem digitalen Sog entziehen, aber ich schaffe das nicht ganz. Ich lasse mich aber auch nicht ganz einfangen.

Die digitale Welt hat der realen gegenüber viele Vorzüge. Mindestens so viele wie eine eingezäunte Weide gegenüber einer offenen Prairie, oder wie ein warmer Stall gegenüber einem wilden Wald. Und das ist es, was mir dieses nagende Unbehagen verursacht; das Gefühl, dass die endgültige Domestizierung des Menschen begonnen hat. Jede neue digitale Technologie verspricht mehr Freiheit – doch die ist immer an die Technologie gebunden.

Das ist so bei jeder Technologie, doch die digitalen Kommunikationstechniken sind die ersten, die ihre Nutzer völlig transparent machen. Durch den immensen Informationsgewinn ist die Herrschaft über die Technologie gleich geworden mit der Herrschaft über ihre Nutzer.

*alle – denn ich habe sie neu sortiert und nach Rubrik und Autor geordnet – das war seit dem Umzug vor mehr als einem Jahr fällig.

About Eilan

Eilan Belhaus ist Dichter und Wortspieler, Poet und Beobachter. Er erforscht die Welt meditativ und lädt Dich zu seiner Welt ein. Eilan freut sich über Kommentare und darauf, in Deine Welt eingeladen zu werden.
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2 Responses to Ob ich mir einen E-Book-Reader kaufen soll

  1. Hajo says:

    Auch ich habe mich schon gefreut und ebenso geärgert über meinen e-reader, den mir meine Kollegen zu meinem 60. Geburtstag geschenkt haben.
    Dabei gingen mir genau die gleichen Gedanken durch den Kopf wie Du sie hier beschrieben hast. Nicht unwesentlich finde ich auch den finanziellen Aspekt.
    Die eingeschränkte Nutzung (das “Buch” kann nicht verschenkt oder verliehen werden) sowie die 0 € Herstellungskosten machen E-reading unverschämt teuer im vergleich zum gedruckten Buch. Der irreführende Begriff Buch hat diese lese Erlaubnis nicht verdient. Ich versuche auch diesen Begriff zu vermeiden.
    Bücher riechen, altern und müssen gelegentlich sogar abgestaubt werden.
    Manche meiner Bücher haben eine richtige Geschichte, weil sie mich schon
    viele Jahre begleiten und ich sie wiederholt an verschiedenen Orten rund um den Globus gelesen habe. Daran erinnere ich mich auch genau.
    Ich bin mir nicht sicher ob diese Erinnerungen so vivid wären, wenn ich vor 30 Jahren schon e-reading betrieben hätte.

    Nun liegt das Ding, also dieser E-reader schon 2 Jahre auf meinem Schreibtisch.
    Weniger als ein halbes Dutzend lese Erlaubnise habe ich mir gekauft.
    Seit etwa einem Jahr gar keine mehr. Neulich habe ich ihn wieder mal
    eingeschaltet. Die Battery scheint sehr lange zu halten auch ohne Aufladung.
    Das hat mich erstaunt, er würde also auch im Urwald ohne aufladen eine Weile durchhalten.
    Es ist klein und handlich, falls ich mal eine längere Reise plane möchte ich es nicht ausschließen aus Gewichtsgründen ein paar Leselizenzen zu erwerben.
    Auf Reisen mag er ein praktischer Begleiter sein.

    • Eilan says:

      Hallo Hajo,

      für die rasch verderbliche Ware Unterhaltungsliteratur mag ein solcher Reader ok sein. Aber ich würde nie ein wichtiges Buch – etwa Lyrik – elektronisch haben wollen.

      Eilan

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