Auf dem Hochseil

Als ich jünger war dachte ich, dass doch irgendwann einmal ein Punkt erreicht sei, von dem ab die Entwicklung der Menschheit nur noch aufwärts gehen könne. Sozusagen ein Niveau, das nie wieder unterschritten würde. Ja ja, die Naivität der jungen Leute. Es steckt in diesem Denken eine heimliche Sehnsucht nach der Idylle, die romantische Vorstellung von einem Paradies.

Mit dem Ende des Ost-West Konfliktes sah ich schon den ewigen Weltfrieden heraufziehen. Ein Freund von mir glaubte, dass der arabische Frühling Freiheit, Demokratie und Wohlstand nach Nordafrika und in den Nahen Osten bringen würde. Mir ist im Rückblick auf die Zeit des kalten Krieges klar geworden, welch stabilisierende Kraft das Gleichgewicht der Bedrohung hatte. Vor dem Wegfall der Berliner Mauer hatte ich das Gefühl, Deutschland sei eine feste Insel in einem Meer von Unwägbarkeiten. Nach der Wiedervereinigung fand ich mich plötzlich auf einer treibenden Eisscholle wieder, mit unsicherem Kurs. Der arabische Frühling brachte neue Despoten und Bürgerkriege mit sich. Insgesamt ist der Nahe Osten um vieles instabiler unberechenbarer geworden.

Ich möchte nicht falsch verstanden werden: das Ende des kalten Krieges war gut und richtig. Der arabische Frühling war unbedingt notwendig. Nur – die weitere Entwicklung nach solch einschneidenden Veränderungen ist nicht vorauszusehen. Und sie sind nie der Endpunkt einer Entwicklung, und die Anstrengungen, die Dinge zu verbessern, und die Wachsamkeit und das Misstrauen gegenüber den Mächtigen dürfen nie nachlassen.

Das Happyend gibt es nur im Märchen. An deren Ende heißt es: „ … und lebten glücklich bis an ihr seliges Ende.“ Aber wir wissen alle, dass das märchenhafte Ende ein sehr willkürlich gesetzter Punkt ist. Märchen sind Literatur. Wie es nach dem Happyend weitergeht, darüber schweigen die Autoren. Wir wissen nichts von den ehelichen Auseinandersetzungen des Königspaars, nichts von ihren Krankheiten, ihrem Herzschmerz oder dem Stress mit den Kindern.

Und so wächst bei mir allmählich die Erkenntnis, dass es kein Ende gibt. Nimmt man die Bibel zur Hand – und ich meine hier das Alte Testament – kann man es ja auch schon erkennen. Als das Volk Israel nach 40 Jahren Wanderung durch die Wüste endlich im gelobten Land ankam, fing der Stress erst so richtig an.

Wer immer behauptet, eine endgültige Lösung, die Beantwortung aller Fragen, eine absolute Wahrheit oder das perfekte System zu haben dem ist mit dem höchsten Misstrauen zu begegnen. Denn weil unsere Sehnsucht nach paradiesischen Zuständen so stark ist, sind wir über diese Schiene besonders leicht zu manipulieren.

Nichts geschieht und nichts lässt sich aufbauen, ohne dass man es wirklich tut. So ist es auch mit unserer Demokratie. Es reicht nicht zu wissen, dass wir ein Grundgesetz haben. Um seine Durchsetzung muss man kämpfen. Es ist gefährlich davon auszugehen, dass es Selbstverständlichkeiten gibt. Die Mächtigen sind immer nur so demokratisch, wie sie gezwungen werden, demokratisch zu sein.

Das Leben ist in allen Bereichen ein ständiger Balanceakt.

About Eilan

Eilan Belhaus ist Dichter und Wortspieler, Poet und Beobachter. Er erforscht die Welt meditativ und lädt Dich zu seiner Welt ein. Eilan freut sich über Kommentare und darauf, in Deine Welt eingeladen zu werden.
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