Die Last der Freiheit 


Junge Leute in nicht unerheblicher Zahl fühlen sich zum Islamismus hingezogen. Nach Presseberichten kämpfen mehrere hundert Freiwillige aus Deutschland beim IS in Syrien. Insgesamt sollen bis zu 15.000 ausländische Kämpfer in die Kriegsgebiete gereist sein. Man fragt sich, wie so etwas geschehen kann. Was treibt die jungen Männer und Frauen in die Arme von Leuten, deren primitive Weltsicht und deren barbarisches Handeln so abstoßend sind?

Aus Deutschland kommen wohl eher entwurzelte junge Leute. Sie fliehen vor der eigenen Perspektivlosigkeit und vor der Komplexität einer freien und offenen Gesellschaft.
 Offensichtlich ist für sie das europäische Welt- und Menschenbild nicht attraktiv. Sie verfallen den Verlockungen der Apokalypse. Die Islamisten bedienen eine Nachfrage. Sie bieten Sinn für den Preis der Freiheit. Und in vielen Fällen ein Ventil für Aggressionen.

Das Leben in einer offenen und freien Gesellschaft verlangt vom Einzelnen sehr viel. Jeder Tag bringt neue Herausforderungen und zwingt zu Entscheidungen. Viele der Zusammenhänge in einer offenen und freien Gesellschaft erschließen sich nicht durch Augenschein. Es ist eine komplexe Welt ohne feste Konturen mit sehr wenigen äußeren Regeln. Die Positionen werden in einem ständigen Diskurs überprüft und neu verhandelt. Mit anderen Worten: es ist eine schwierige Gesellschaft. Man braucht eine gewisse innere Struktur, um sich in einer offenen und freien Gesellschaft zurechtzufinden. Ohne minimale Denkarbeit ist das nicht zu schaffen. Freiheit und Demokratie verlangen aktive Beteiligung und ein gewisses Maß an Engagement und Entscheidungsfähigkeit.

Ich fürchte, die Mehrzahl der heute lebenden Bürger entzieht sich dieser Mühe. Sie gleiten zurück ins Private (Das griechische Wort für Menschen, die sich nur um ihre Privatsachen kümmern lautet ἰδιώτης = idiotes.) Und dann gibt es jede Menge Ablenkung. Man kann sogar recht gut leben, ohne sich den Pflichten der Demokratie zu unterziehen. Es bleibt natürlich ein gewisses Unbehagen über die eigene Untätigkeit, doch der allgemeine Konsens scheint zu sein, besser nichts zu tun. Es gibt eine Reihe von allgemein akzeptierten Ausreden wie: was soll ich allein schon ausrichten, die Regierenden machen sowieso was sie wollen, mir geht es doch ganz gut, und so weiter.

Während sich also die schweigende Mehrheit der Freiheit entledigt, indem sie sie nicht nutzt, wird sie für eine kleine Gruppe zur drückenden Last. Sie sucht nach Orientierung und festen Regeln, nach eindeutigen und möglichst einfachen Antworten auf komplexe Fragen. Das gibt es natürlich auch hierzulande. Es sind die randständigen und radikalen Gruppen, die solche Antworten, festen Weltsichten und Regeln bieten. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Gruppen religiös, weltanschaulich oder politisch sind. Sie erscheinen den Suchenden als fester Halt in einem Meer an Unsicherheiten. Und mit der entsprechenden Vehemenz klammern diese sich an den vermeintlich rettenden Balken.

Es ist wirklich erstaunlich, welchen Preis Menschen bereit sind dafür zu zahlen, dass sie keine Verantwortung tragen müssen. Sie geben ihr schwer verdientes Geld, sind bereit zum Sklavendasein, opfern ihr Leben und ihre Liebe und legen ihren neuen Herren das drückende Gewicht der lästigen Freiheit freudig zu Füßen.

In der neu gefundenen geistigen Heimat fühlt sich der neu Aufgenommene endlich zuhause. Nicht nur fällt eine große Last von seinen Schultern, er gehört von nun an zu den auserwählten Wenigen, die die Zeit erkannt haben, zu den Geretteten oder zumindest zu denen, die mit Sicherheit gerettet werden. Das Gefühl des Auserwähltseins stärkt das schwache Ich und verleiht ihm große Selbstsicherheit. Wenn es ganz schlimm läuft, wird der Konvertierte zum Krieger im endzeitlichen Kampf gegen das Böse. Dieser Kampf kann – je nach Ausrichtung der Gruppe – mit Druckerzeugnissen, über die modernen elektronischen Medien oder aber mit Waffengewalt geführt werden.

Fanatismus ist meiner Meinung nach eine Form von mentalem Parasitentum; das Gedankengut des Fanatismus kapert den Verstand der Befallenen und nutzt ihn zu deren Schaden und zum eigenen Nutzen. So wie ein Virus keinen anderen Zweck kennt, als sich zu vermehren, läuft das Programm der gedanklich Infizierten ab. Es gilt, restlos alle Menschen vom eigenen Weltbild zu überzeugen oder sie hilfsweise umzubringen. Eine andere Weltsicht als die eigene ist ihnen nicht akzeptabel. Fanatiker sind keinen Argumenten, keiner Logik zugänglich. Es ist eine Form ansteckenden Wahnsinns.

Es gibt in der Natur Parallelen. So gibt es eine Reihe von Parasiten, die das Verhalten von Tieren steuern können. Der Lanzett-Egel z.B. nutzt Ameisen als Zwischenwirte. Die Endwirte sind Schafe und Rinder, in deren Leber der Parasit sein Endstadium erreicht. Der Parasit nistet sich im Gehirn der befallenen Ameisen ein und zwingt sie zu untypischem Verhalten. Die erkrankte Ameise klettert, wenn der Parasit reif für seinen nächsten Wirt ist, auf einen Grashalm und beißt sich dort mit den Kieferzangen fest. Dieses Verhalten widerspricht dem Lebenszweck der Ameise. Doch für den Parasiten handelt die Ameise genau richtig. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird die Ameise von einem weidenden Huftier gefressen und der Zyklus des Parasiten geht in die nächste Stufe.

Ameisen kann ich keinen Rat geben, doch für Menschen gilt, regelmäßig denken und höchstes Misstrauen, wenn jemand einfache Antworten auf komplexe Fragen anbietet.

 

Links:

http://www.tagesschau.de/inland/interview-is-kaempfer-101.html

http://de.wikipedia.org/wiki/Kleiner_Leberegel

http://www.zeit.de/wissen/umwelt/2011-03/pilz-zombie-ameise

About Eilan

Eilan Belhaus ist Dichter und Wortspieler, Poet und Beobachter. Er erforscht die Welt meditativ und lädt Dich zu seiner Welt ein. Eilan freut sich über Kommentare und darauf, in Deine Welt eingeladen zu werden.
This entry was posted in Politisches and tagged , , , . Bookmark the permalink.

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <strike> <strong>