Die Herrschaft der Betriebswirte

Ich halte die Kommerzialisierung aller Gesellschaftsbereiche für ein Grundübel unseres gegenwärtigen Systems. Um Missverständnissen vorzubeugen: ich habe nichts gegen die Betriebswirtschaft an sich. Sie erfüllt eine wichtige Funktion in der Wirtschaft und ist grundsätzlich eine nützliche Sache. Sie hilft Unternehmen erfolgreich zu sein. Solange sie sich auf das beschränkt, was sie kann, ist alles in Ordnung.  Die “Erbsenzähler” sind jedoch längst nicht mehr mit untergeordneten Rollen zufrieden. Sie haben die Herrschaft übernommen. Sie setzen die Ziele und bestimmen die Richtung von Unternehmen und zunehmend auch die der gesamten Gesellschaft. Und damit übernehmen sie sich und richten massiven Schaden an. Ich kenne Ausnahmen und gute Beispiele für erfolgreiche und nützliche BWLer in Führungspositionen, doch der schlimme gesellschaftliche Trend ist unübersehbar.

Das Ziel der Erbsenzähler ist der Gewinn – und sonst nichts. Wie gesagt: in einer unterstützenden Rolle ist das eine feine Sache. Inzwischen ist der Gewinn jedoch zum Hauptziel geworden ist. Damit werden alle anderen Ziele zweitrangig. Der Geldwert ist zum wichtigsten gesellschaftlichen Wert geworden. Ihm sind alle anderen Werte untergeordnet. Alles was getan, produziert, erfunden und entdeckt wird, alles ist nun lediglich Mittel zum Zweck. Sogar die Menschen selbst sind längst zur Sache geworden, deren Sinn und Zweck der zu sein hat, Gewinne zu erwirtschaften und zu erhöhen.

In den letzten 20 Jahren wurden Führungspositionen in Industrie und Wirtschaft zunehmend von Personen besetzt, die rein betriebswirtschaftlich denken. Seien es Hersteller, Dienstleister oder zum Beispiel Krankenhäuser. Es sind nun nicht mehr Ingenieure, Fachleute wie etwa Ärzte, die die Geschicke der betroffenen (oder soll man sagen befallenen) Unternehmen und Einrichtungen lenken, sondern Erbsenzähler. Es geht nicht mehr darum, gute Fahrzeuge zu bauen, gute Dienstleistungen anzubieten oder Menschen gesund zu machen, sondern darum, Gewinne zu machen. Das was produziert wird, die Dienstleistungen die angeboten oder die medizinischen Maßnahmen, die durchgeführt werden, sind lediglich Mittel zur Gewinnerzielung. Damit dieser Zweck auch erreicht wird, wurden – mit tatkräftiger Hilfe und auf Veranlassung interessierter Kreise – die entsprechenden Gesetze auf den Weg gebracht.

Eigentlich sollte der Gewinn auf beiden Seiten liegen – der Anbieter liefert ein gutes Produkt oder eine gute Dienstleistung – und der Kunde ist bereit, dafür einen guten Preis zu zahlen. Beide proftitieren. Offensichtlich geht es aber auch anders. Vor allem in Bereichen, in denen der Kunde besonders stark vom Produkt oder der Dienstleistung abhängig ist. Je abhängiger der Kunde ist, desto schlechter und weniger kundenorientiert sind die Angebote.

Eine der letzten Gesundheitsreformen trug dem merkwürdigen Titel „Wettbewerbsstärkungsgesetz“. Das Argument: durch Wettbewerbsorientierung kann das Gesundheitssystem verbessert und effizienter gemacht werden. Das Gesundheitswesen gehört jedoch zur Daseinsfürsorge des Staates für seine Bürger, und Patienten sind keine Kunden. Ein Kunde hat die Option, zwischen verschiedenen Anbietern und Produkten zu wählen, und kann auch auf einen Kauf eines Produkts oder die Inanspruchnahme einer Dienstleistung verzichten. Ein Patient mit Schlaganfall oder Blinddarmreizung ist nicht in der Lage, sich das beste Krankenhaus zu suchen oder auf die Behandlung zu verzichten. Ein Patient ist immer einer schwächeren Lage, als ein Arzt oder ein Krankenkrankenhausleiter. Solange der Arzt oder das Krankenhaus dem Wohl des Patienten verpflichtet sind, ist das kein Problem. Zum Problem wird diese Asymmetrie, wenn der Arzt oder das Krankenhaus Gewinnzielen verpflichtet sind. Im Zeitmagazin sprachen sich unlängst Krankenhausärzte anonym darüber aus, wie sehr es ihnen widerstrebt, Operationen nur deshalb durchzuführen, weil die Geschäftsführung bestimmte Zahlen vorgegeben hat, die erfüllt werden müssen. Anstellungsverträge mit Ärzten in Krankenhäusern beinhalten seit einiger Zeit Bonusregelungen für das Erreichen von Umsatzzielen. Das führt zu einer massiven Zunahme von unnötigen Operationen. Die Lasten tragen die so de facto körperverletzten Patienten und das Gesundheitswesen.

“Der Kunde ist König”
Mit diesem Spruch lockten die Kaufleute in der Vergangenheit Menschen in ihre Geschäfte. Die Kaufleute waren von den Kunden abhängig. Deshalb waren sie freundlich zu ihnen. Wenn die Kaufleute gut waren, fühlte sich der Kunde tatsächlich wie ein kleiner König. Seitdem Betriebswirtschaft das Zepter in die Hand genommen hat, erfüllt das Wort Kunde den Tatbestand der arglistigen Täuschung. Besonders deutlich wird diese Tatsache bei Dienstleistungsunternehmen. Je größer ein Dienstleistungsunternehmen ist, und je mehr Kunden es hat, desto schlechter behandelt es diese. Wer einmal versucht hat, bei einem der führenden Telefonanbieter Service zu erhalten, oder eine Frage hatte, die sich nicht mit vorgefertigten Phrasen beantworten ließ, weiß wovon ich rede.

Der Zynismus, mit dem das Wort Kunde heute verwendet wird, ist ist am deutlichsten bei der Reform der Arbeitsämter zu sehen. Die Regierung Gerhard Schröder hat diese Reform vor zehn Jahren eingeführt. Seinen Namen erhielt das neue Gesetz von Peter Hartz, damals Berater von Gerhard Schröder. Ersonnen wurde es von einem Think Tank der Bertelsmann Stiftung.

In seiner Wirkung war und ist dieses Gesetz auch ein großes Verarmungsprogramm für Millionen von Bürgern. (während sich gleichzeitig das Vermögen der Reichsten weiter vergrößert hat.) Unter dem Motto „Fordern und Fördern“ werden die Leistungen der Arbeitslosenversicherung nach einem Jahr ohne Arbeit auf das Niveau der Sozialhilfe gesenkt. Lediglich für Arbeitnehmer über 62 Jahren gibt es 3 Jahre lang die vorher üblichen Leistungen (70 % des letzten Nettoeinkommens). Die Hartz-IV-Regelung wurde und wird zu Recht vielfach kritisiert. Der Gründer der DM Kette, Götz Werner, bezeichnet Hartz IV als offenen Strafvollzug. Aus meinem Bekanntenkreis kenne ich Schilderungen des Hartz IV Systems als inkompetent und schikanös. Eine arbeitssuchende Einzelhandelskauffrau wurde unter Androhung von Leistungsentzug gezwungen, in einer zwielichtigen Bar zu arbeiten. Die Hauptaufgabe der Sachbearbeiter scheint zu sein, ihren – und das ist wirklich Zynismus – „Kunden“ das Leben schwer zu machen. Vielleicht sehe ich das falsch, doch möglicherweise ist das, was Hartz-IV-Bezieher erleben nur ein Vorgeschmack auf das, was allen Kunden blüht, wenn das gegenwärtige System sich weiter ausbreitet.

About Eilan

Eilan Belhaus ist Dichter und Wortspieler, Poet und Beobachter. Er erforscht die Welt meditativ und lädt Dich zu seiner Welt ein. Eilan freut sich über Kommentare und darauf, in Deine Welt eingeladen zu werden.
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