Die allgegenwärtige Werbung hatte ich schon seit längerem im Verdacht, dass sie größte Innenweltschäden verursacht. Ich konnte den Finger nicht so recht drauflegen, aber mein Unbehagen war groß. Es kann unmöglich ohne Folgen bleiben, wenn man so viel Schwachsinn über eine so lange Zeit ungefiltert über die Menschheit kippt. So dachte und denke ich.
Das mit der Innenweltverschmutzung ist natürlich ein Gleichnis. Das Ursprungsbild dafür war der Glan. Der Glan entspringt unweit meines Geburtsorts Oberbexbach am Höcher Berg. Er verlässt das Saarland schon nach weniger als zwei Kilometern in Richtung Westen. Sein weiterer Lauf bis zu seiner Mündung in die Nahe führt durch Rheinland-Pfalz. Kennengelernt habe ich den Glan als ich ein Schulbub war, im Alter von sieben oder acht Jahren. Mit meinen Spielkameraden bin ich im Sommer hin und wieder dorthin zum Baden. Die Bruchstraße, dort haben wir gewohnt, wurde nach dem Ortsausgangs zum Feldweg. Wir unterquerten das Eisenbahnviadukt und die Autobahn und liefen dann voller Vorfreude weiter geradeaus durch eine Wiese – und dann lag der junge Fluss vor uns: ein glitzernder Wasserkörper, vielleicht drei Meter breit. Lange, schmale Bänder grüner Wasserpflanzen bewegten sich mit der Strömung. Rasch zogen wir die verschwitzten Kleider aus und stiegen laut johlend in das kristallklare kalte Wasser. Es reichte uns an den tieferen Stellen bis zur Brust. Grobkörniger Sand kitzelte an den Sohlen und zwischen den Zehen.
Es war die Zeit, bevor das Wirtschaftswunder über Deutschland hereinbrach. In unserer Straße gab es einen einzigen Fernsehapparat. Dort trafen wir Kinder uns hin und wieder, um die Muminfamilie zu sehen. Das war eine leicht gruselige Puppenspielserie, mit einer Art sprechender Nilpferde als Protagonisten und bizarren Unhelden. Und es gab kaum Waschmaschinen, damals.
Etliche Jahre später hatte jeder Haushalt einen Fernseher, und eine Waschmaschine. Als ich in den Ferien wieder einmal zum Glan ging, wälzte sich im Flussbett eine stinkende, milchig trübe Brühe. Alles Leben im Fluss schien erloschen. Baden war ausgeschlossen.
Es dauerte Jahrzehnte, bis man in Deutschland begann Kläranlagen zu bauen und Gesetze zu erlassen, dass Waschmittel biologisch abbaubar sein müssen. Umweltschutz ist seither wichtig geworden. Ich werde bei nächster Gelegenheit wieder einmal zum Glan gehen. Ich bin sicher, dass er sauber sein wird.
Die Verseuchung der Innenwelt aber geht ungebremst weiter. Durch die Digitalisierung kam sie nochmal so richtig in Schwung. Auf allen medialen Kanälen werden wir flächendeckend mit Werbebotschaften bombardiert. Diese Werbebotschaften haben sich längst davon emanzipiert, Informationen vermitteln zu müssen. Es geht darum, die Empfänger emotional zu beeinflussen. Der Verstand ist dabei ein ärgerliches Hindernis und wird daher möglichst weiträumig umgangen. Die Signalworte sind längst nicht mehr „Nützlich“, „Praktisch“ oder „Haltbar“. Sie lauten „Mega“, „Super“ oder „Großartig“.
Nun ja, kann man sagen, das betrifft doch nur Konsumprodukte… Aber da der Konsum für den modernen Menschen zentraler Vollzug des Lebens ist, kann man das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Das Konsumdenken hat das kritische Denken über weite Strecken zurückgedrängt. Der Mensch, der sich als Konsument erlebt, überträgt die Kategorien des Konsums auf alle Bereiche seines Lebens. Es wird im Verkauf nicht argumentiert, es wird unverhohlen manipuliert. Wer dies unreflektiert mit sich machen lässt, verlernt das Denken. Und das ist der Punkt, an dem die Sache hart auf die Wirklichkeit durchschlägt.
Schon vor Jahrzehnten war ich erschüttert zu beobachten, wie die Politik nach und nach die Sprache der Werbe- und PR-Branche übernahm. Da wurde im Gesundheitsministerium nicht mehr von Beitragserhöhungen und Leistungskürzungen gesprochen, sondern von Tarifanpassungen und mehr Eigenverantwortung der Versicherten. Die Sprache der Täuschungen und falschen Versprechungen, der Manipulation und der Verführung hatte die Politik erfasst. Die aufstrebenden Politiker der neuen Rechten haben die Konsequenz aus der Entwicklung gezogen: Wenn so vielen Menschen das Denken verlernt haben, weshalb soll man da noch an den Verstand appellieren? Erfolgversprechender ist es da, Bedürfnisse zu wecken und diese zu bedienen. Je niedriger man das Niveau ansetzt, um so durchschlagender der Erfolg.
Das Sachargument hat ausgedient. Die Behauptung gilt längst als ihr eigener Beweis. Man sagt einfach: Es wird großartig! Der britischen Premierminister Boris Johnson sagte, das Resultat seiner Politik würde großartig sein. Das schöne an solchen Begriffen, sie lassen sich nicht quantifizieren. Es gibt keinen Gradmesser dafür, außer dem der allgemeinen Begeisterung. Wenn alle denken, dass etwas großartig ist, dann ist es das auch. Da reicht schon die einfache Mehrheit.
Man sollte Boris Johnson fragen, wie großartig das Land nun dasteht, nach zwei Tory-Regierungen in Folge und um wie viel Prozent großartiger das Land nach einem Jahr seiner Regierung sein soll.
Ich weiß zwar nicht wie es um den Glan bestellt ist, viele Flüße sind verglichen mit früher heute wesentlich sauberer als z.B. 1950. Wirklich sauber sind sie zwar immer noch nicht und das baden ist verboten, hätte man aber damals heutige Maßstäbe angewandt dann hätte man bereits 1935 das baden im Main als lebensgefährlich einstufen müssen.
Aber es ging dir ja hier um die Werbung und da bin ich ganz bei dir.