Gedanken um die Rolle der Geschlechter

Eigentlich hätte ich das dem Herrn Brüderle gar nicht zugetraut, was man ihm nachsagt, dieses Anmachen einer Journalistin. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung lässt mich vermuten, dass es hier um Wahlkampf geht. Doch das ist nicht der Punkt. An dieser, aus meiner Sicht läppischen, Affäre entzündet sich eine schwierige und längst überfällige gesellschaftliche Diskussion. Wir sind dabei, die Geschlechterrollen neu zu verhandeln.

Es geht um nichts Geringeres als um das Ende des uralten Patriachats. Mit der biblischen Schöpfungsgeschichte wurde die Herrschaft der Frau beendet und die Herrschaft des Mannes zementiert. Der Schöpfungsbericht verdreht die Tatsachen komplett. Der erste Mann „gebiert“ (durch seine Rippe) die erste Frau. Er gibt ihr einen Namen – ein Akt der Herrschaft – und im folgenden Sündenfall wird der Frau die Schuld an allem Bösen in die Schuhe geschoben. Für Jahrtausende hat die Frau daraufhin die Arschkarte.

In allen Kulturen, die ihren Ursprung in der jüdischen Tradition haben, also im Judentum, im Christentum und im Islam, wird ein ähnliches Bild der Geschlechter tradiert, aber nicht nur dort. Auch andere Kulturen habe ihre Mythen, um die Herrschaft des Mannes zu legitimieren.

Die Veränderung der Geschlechterrollen findet nicht zufällig in einer Kultur statt, in der die Religion nahezu bedeutungslos geworden ist. Frauen bestimmen in der postindustriellen Gesellschaft wieder darüber, ob, wann und mit wem sie Kinder haben wollen. Damit entfällt die Grundlage religiöser und geschlechtlicher Herrschaft.

Für uns Männer ist diese eine schwierige und herausfordernde Zeit. Jede Annäherung an eine Frau ist ein Gang durch vermintes Gelände. Jede Beziehung bedarf der ständigen Mühe und behutsamer Pflege.

Wohin die Entwicklung führt, welche Gesellschaftsformen entstehen – das ist völlig offen. Eines ist sicher: es wird eine neue Kultur entstehen, mit radikal geänderten Rollen. Ich hoffe, es wird eine Kultur gegenseitiger Wertschätzung sein.